Tagung, 5. September 2024, München
Beim vierten KEF-Forum, das der GA in Kooperation mit dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr am Historischen Kolleg in München veranstaltete, wurde KEF-Mitgliedern und weiteren Ansprechpersonen für den Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung erneut die Möglichkeit gegeben, sich insbesondere mit Blick auf die Risiken internationaler Forschungskooperationen und die Zivilklauseldebatte in einem vertraulichen Rahmen über Erfahrungen und Herausforderungen ihrer Beratungsarbeit auszutauschen.
Zunächst führte der Ausschussvorsitzende Thomas Lengauer in die Thematik sicherheitsrelevanter Forschung sowie die Aufgaben und Ziele des GA ein und präsentierte Ergebnisse der vierten Umfrage unter den KEFs und Angebote des GA zur Stärkung der Bewertungskompetenzen der KEFs. Die Kovorsitzende des GA Britta Siegmund stellte anschließend die Empfehlungen der DFG „Umgang mit Risiken in internationalen Kooperationen“ vor, die im Sinne einer auf geopolitische Veränderungen reagierenden Forschungskultur zu einem reflektierten Umgang mit Risiken des Forschungshandelns anregen. Im zweiten Teil der Einführung beschrieb Roman Wölfel, der Leiter des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr und Mitglied von dessen KEF, die Aufgaben seiner Ressortforschungseinrichtung zum Schutz vor Infektionskrankheiten im Rahmen nationaler und internationaler Ausbrüche und zur Abwehr biologischer Waffen. Jedes Projekt, das am Institut bearbeitet werde, durchlaufe eine obligatorische DURC-Prüfung und könne im Zweifel durch die lokale KEF beraten werden. Dafür sei zudem eine Checkliste verfügbar. Gain-of-Function-Experimente würden beispielweise am Institut nicht durchgeführt.
Anschließend gaben fünf Vertreterinnen und Vertreter von Kommissionen, die für die ethische Beratung zu sicherheitsrelevanter Forschung zuständig sind, Einblicke in die Beratungs- und Strukturprozesse an ihrer Einrichtung. Christoph Rehmann-Sutter stellte die Vorüberlegungen der noch jungen „Kommission für die Ethik sicherheitsrelevanter Forschung“ der Universität Lübeck bezüglich der Definition von Sicherheit und der Rolle von Forschung und Technologie vor. Der Prozess der Sicherheitsklärung könne selbst bereits ein ethisches Handeln darstellen. Eine der Hauptaufgaben der Kommission sei derzeit – neben der Diskussion erster Fälle – die Bewusstseinsbildung in allen betroffenen Studienbereichen. Bislang habe die Kommission zu einem Forschungsprojekt zu KI-gestützter Auswertung von Bildern aus Helikoptern beraten, das zwar für die Rettung von Menschen in Not ausgerichtet sei, dessen Ergebnisse jedoch gleichzeitig auch missbräuchlich verwendet werden könnten.
Bernd Eylert von der Ethikkommission der TH Wildau stellte Überlegungen zur Auswertung genetischer Patientendaten mittels KI vor dem Hintergrund geltender Datenschutzregeln vor. Anhand des vorgestellten Projekts aus der Medizinforschung skizzierte er Missbrauchsrisiken, die sich aus rechtlichen Lücken ergeben könnten. Zugleich wies er auf die herausgehobene Bedeutung einer umfassender Patienteneinwilligung hin. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie, für die die genannte Studie erstellt wurde, habe wegen der zunehmenden Brisanz von KI-Projekten einen Arbeitskreis „KI in der Häma-Onkologie“ gegründet.
Ulrike Beisiegel, Vorsitzende der KEF des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY), skizzierte unter dem Titel „Wie politisch darf Wissenschaft sein?“ verschiedene Themen, mit denen sich die Kommission beschäftige. Unter anderem habe die KEF den Vorstand des DESY beraten, inwieweit die Einrichtung Regeln zur Abgabe politischer Statements aufstellen könne. Weiterhin befasse sich die KEF mit Sicherheitsgefährdungen durch internationale Kooperationen bei großen analytischen Infrastrukturen des DESY (z. B. im BMBF geförderten Projekt WIKOOP-INFRA). Als Konsequenz der politisch ausgerufenen „Zeitenwende“ sei die KEF in Beratungen des Direktoriums über die mögliche Weiterentwicklung des Leitbilds des DESY eingebunden, in welchem bisher die Forschung „zivilen und friedlichen Zwecken“ diene. Die zentrale Frage sei, ob zukünftig Projekte mit militärischem Bezug explizit ermöglicht werden sollten.
Karsten Weber stellte die Gemeinsame Ethikkommission der Hochschulen Bayerns (GeHBa) vor, in der 15 Hochschulen und ein Kompetenzzentrum vertreten sind. Nachdem in der Anfangszeit vor allem Ethikvoten und Beratung zu Gesundheits- und Pflegeprojekten abgegeben worden seien, würden nun zunehmend Projekte aus den Ingenieurwissenschaften zum automatisierten Fahren, zur Digitalisierung und zur künstlichen Intelligenz an die Kommission herangetragen. Mitglieder der GeHBa würden durch Vorträge an den Hochschulen Grundlagen von Ethik in der Forschung vermitteln. Durch die High-Tech-Agenda in Bayern sowie die Zunahme der Promotionen an den Hochschulen sei in den kommenden Jahren mit einem erhöhten Antragsvolumen an die GeHBa zu rechnen.
Jan-Hendrik Heinrichs erläuterte, dass für sicherheitsrelevante Forschungsprojekte am Forschungszentrum Jülich eine Beratungspflicht bei der lokalen KEF gelte, deren Befolgung u.a. durch die Drittmittelabteilung sichergestellt werde. Für die Bewertungssystematik der KEF seien insbesondere die Ziele der Forschenden bzw. Kooperationspartner und das jeweilige Technology Readiness Level (TLR) erheblich. Er stellte dies anhand eines beratenen Forschungsvorhaben aus der Energieforschung dar, bei dem mit einem militärisch assoziierten Partner aus einem Drittland kooperiert werden sollte. Vor dem Hintergrund der Friedensklausel des Forschungszentrums und nicht geklärter Veröffentlichungsmodalitäten sei ein abschlägiges Beratungsvotum abgegeben worden, da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass das Produkt vorrangig zu kriegerischen Zwecken entwickelt und später eingesetzt werden könnte. Die Voten der KEF würden dem Vorstand mitgeteilt, der letztlich die Entscheidung für oder gegen ein solches Projekt fällen müsse.
Michael Lauster, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT, gab Einblicke in die Sicherheitsforschung im Fraunhofer-Leistungsbereich Verteidigung, Vorbeugung und Sicherheit VVS. Dabei würden Dienstleistungen, Technologien und Produkte bis zur Industriereife entwickelt, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen, ihnen entgegenzutreten und Folgeschäden zu minimieren. Die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit falle zunehmend schwer, z.B. in der Cybersicherheit. Inzwischen würden frei verkäufliche Hochtechnologien wie z.B. handelsübliche zivile Drohnen für militärische oder terroristische Ziele zweckentfremdet. Man stehe in der Sicherheitsforschung vor dem Dilemma, dass man Risiken, die man reduzieren möchte, zunächst erforschen und verstehen müsse, obwohl sie möglicherweise eigenen ethischen Vorstellungen widersprechen. Als Beispiele dafür nannte er die genetische Manipulation von Soldaten oder die psychologische Manipulation der Bevölkerung. Im INT würden derzeit 50 Technologiefelder im Rahmen der Sicherheitsforschung beobachtet. Der Vorstand der Fraunhofer-Gesellschaft könne im Falle ethischen Beratungsbedarfs eine Ethikkommission einberufen.
Zur Illustration der Herausforderungen internationaler Forschungskooperationen präsentierte Anna Lisa Ahlers vom MPI für Wissenschaftsgeschichte die Handlungsempfehlungen der Max-Planck-Gesellschaft für die Zusammenarbeit mit China. Dazu erläuterte sie den Kontext für die Abfassung der Empfehlungen. Im Fall China wüchsen gegenwärtig diskutierte Schwierigkeiten internationaler Forschungszusammenarbeit, zum Beispiel hinsichtlich von militärangebundener Forschung, Vorstellungen von Wissenschaftsethik, politischer Instrumentalisierung und Zensur, Spionage und einseitigem Wissenstransfer, vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Außenwissenschaftspolitik und diffuser Empirie. Diesen Risiken wollten Wissenschaftsorganisationen wie die MPG nun durch Schärfung eines Verantwortungsbewusstseins, Ansätze der Risiko-Mitigation und die teilweise Neuausrichtung von internationalen Kooperationen begegnen. Die MPG-Empfehlungen würden insbesondere die bottom-up-Definition sicherheitsrelevanter Forschungsfelder und eine systematische Begleitung bei der Anbahnung von Kooperationen vorsehen. Abschließend gab sie zu Bedenken, dass in Deutschland häufig nationale Beratungsstellen zu Forschungskooperationen mit China gefordert würden, es aber noch nicht abzusehen sei, wie diese administrativ angebunden und mit dem nötigen Knowhow ausgestattet werden könnten. Die Forschungslandschaft und -politik in China sei sehr dynamisch und gute Beratung erfordere vielfältige, fundierte Kenntnisse.
In den Diskussionsrunden nach den jeweiligen Vorträgen wurde u.a. erörtert, inwieweit eine kategorische Ablehnung der Kooperation akademischer Forschungseinrichtungen mit der Bundeswehr als vom Parlament gesteuerter Verteidigungsarmee unter Friedensgesichtspunkten noch gerechtfertigt sein könnte. Es wurde diskutiert, ob für die anwendungsorientierte Sicherheitsforschung in der Fraunhofer-Gesellschaft, die in weiten Teilen nicht veröffentlicht wird, andere ethische Maßstäbe gelten könnten. Zudem würde sich seit einigen Jahren der Bewertungsrahmen signifikant verschieben, so dass Zivil- und Friedensklauseln nun einer anderen Lesart folgen könnten. Weiterhin wurde diskutiert, ob Verbunds-KEFs, wie die GeHBa, durch ihre interinstitutionelle Zusammensetzung möglicherweise mit weniger Interessenkonflikten behaftet sein könnten als die klassischen KEFs. Außerdem wurde hinterfragt, inwieweit auch kommerzielle Anbieter von Datenbanken zur Forschungssicherheit für Risikoüberlegungen in Anspruch genommen werden sollten.
In der Abschlussdiskussion waren sich die Teilnehmenden einig, dass Themen wie die Herausforderungen internationaler Forschungskooperation und Forschungssicherheit auch aufgrund der politischen Debatten ein omnipräsentes Thema in den KEFs und deren Forschungseinrichtungen seien. Teilweise würden auch die entsprechenden Beratungsanfragen in den KEFs zunehmen und nun müssten Zuständigkeiten und Bewertungsmaßstäbe geklärt werden. Für Beratungs- und Informationsangebote seitens des GA, aber auch anderer Stellen sei man sehr dankbar, da dieses Themenfeld noch sehr viel Diskussionsbedarf aufwerfe.