Sensibilisierung und Kompetenzbildung für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (Dual Use) in der Lehre – Theorien, Methoden, Good-Practices

Sensibilisierung und Kompetenzbildung für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (Dual Use) in der Lehre – Theorien, Methoden, Good-Practices

Tagung, 5. Juni 2023, Berlin, 10-17 Uhr

Die beiden Vorsitzenden des Gemeinsamen Ausschusses (GA) führten in das Tagungsthema ein. Britta Siegmund erklärte zunächst die Aufgaben des GAs bei der Stärkung der Selbstverwaltung der Wissenschaften im Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung u.a. durch Erfahrungsaustausch und Hilfe bei der Etablierung von geeigneten Verfahrensweisen. Mit Blick auf das Tagungsthema erläuterte Thomas Lengauer die bisherigen Empfehlungen des GAs zur Sensibilisierung von (angehenden) Forschenden. Bislang plädiere der GA für ein dreistufiges Verfahren, um ethische Aspekte sicherheitsrelevanter Forschung in der Lehre zu etablieren. Dieses ziehe sich von Übersichtsveranstaltungen im Bachelor bis hin zu fachspezifischen Seminaren im Master und speziellen Lehrgängen und Graduiertenschulen zu sicherheitsrelevanter Forschung während der Promotions- bzw. Post-Doc-Phase. Der GA sammle Good-Practice-Beispiele für entsprechende Lehrveranstaltungen auf seiner Homepage und thematisiere diese in seinen Tätigkeitsberichten. Mehrere Vertreter von Hochschulen- und Universitäten hätten in den Umfragen des Ausschusses um konkrete Angebote für die Lehre gebeten, so dass diese Veranstaltung dem entsprechenden Erfahrungsaustausch Auftrieb geben sollte. Dazu sollten im Folgenden Lehr- und Lernformen sowie Methodiken diskutiert und die Frage beantwortet werden, wie sich ein nachhaltiges Bewusstsein bei den Studierenden schaffen lässt. Außerdem sei es von Interesse, ob man fakultative oder obligatorische Veranstaltungen anbieten sollte und ob ethische Fragen rund um sicherheitsrelevante Forschung eher in Spezialseminaren oder während der Stammveranstaltungen thematisiert werden sollten.

Panel I: Theoretische und didaktische Konzepte der Bewusstseinsbildung für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung

Julia Dietrich von der FU Berlin präsentierte Thesen, wie die Ethik sicherheitsrelevanter Forschung in der Lehre verankert werden sollte, um für eine ethische Professionalisierung zu sorgen. U.a. sollten ethische Fragestellungen die Lehre durchgängig begleiten und positiv auf handlungsorientierte Werte reflektiert werden. Entsprechende Lehrveranstaltungen müssten obligatorisch sein und theoriegeleitet konkrete ethische Kompetenzen und Kenntnisse vermitteln. Sie könnten nach ihrer Auffassung auch dazu beitragen, Studienabbruchquoten zu senken und die Motivation insbesondere in der Studieneingangsphase stärken. Ihren Untersuchungen von Chemiestudiengängen zufolge sei die Ethik in diesem eigentlich bekanntlich sicherheitsrelevanten Fach noch stark unterrepräsentiert.

Thorsten Fitzon von der Hochschule Furtwangen sprach über die Relevanz der Unterscheidung von ethischer Ambiguität und Ambivalenz bei der Erkennung und Bewertung von Risikoszenarien. Es gehe weniger darum, am Ende eindeutige Urteile zu fällen, sondern darum vielfältige Verständigungsprozesse anzuregen. Fitzon stellte das Projekt „Dilemma-Games“ der Erasmus-Universität Rotterdam vor, mit dem Forschende für ethische Problemstellungen sensibilisiert werden sollen. Durch einen spielerisch eingeübten Perspektivwechsel solle bei den Nachwuchswissenschaftlern u.a. einer gewissen Aspektblindheit vorgebeugt werden.

Die Technischen Universitäten in den Niederlanden haben vor einigen Jahren ein ethisches Begleitstudium eingeführt, das Tijn Borghius von der TU Eindhoven vorstellte. Im Ingenieurstudium seien Ethikseminare verpflichtend, die Bezug auf Anwendungen von Technologien und technische Prozessen nehmen würden. Borghius stellte das Format der fallbasierten Übungen vor, die Studierenden zu mehr Sensibilität und Analysekompetenz bezüglich ethischer Fragen befähigen sollten. Für diese Übungen stünden verschiedene Toolkits zur Verfügung, derer sich Lehrende bedienen könnten – aus den Übungen seien ein Ethikglossar und weitere Bildungsformate hervorgegangen. Das ethische Begleitstudium müsse in vielen Fällen zunächst eine Basis für ein ethisches Problembewusstsein legen. Die Verpflichtung zum Besuch der Seminare habe geholfen, eine breite Akzeptanz für diese Fragen auch in den Ingenieurwissenschaften zu erreichen.

Die anschließende Diskussion auf dem Panel thematisierte die verschiedenen Erfahrungshintergründe, mit denen Studierende an die Universitäten und Hochschulen kommen. Diesem Umstand müsse man im Grundlagenstudium Rechnung tragen. Trotzdem seien die meisten Studierenden interessiert an ethischen Fragen und motiviert, diese mit ihrem Studieninhalt zu verknüpfen. Allerdings sei die Einbindung ethischer Inhalte aufgrund der bereits hohen Informationsdichte in den meisten Studiengängen schwer realisierbar. Ethische Grundlagen seien häufig auch problemlos auf die Bewertung sicherheitsrelevanter Forschung übertragbar.

Panel II: Good Practices (Teil 1)

Sebastian Weydner-Volkmann von der Rhein-Ruhr-Universität Bochum zeigte das Dilemma auf, in dem sich IT-Sicherheitsforschende befänden. Zum einen sei es für ihre wissenschaftliche Karriere wichtig, über aufgefundene IT-Sicherheitslücken zu publizieren, andererseits könnten sie damit Cyberangriffe erst ermöglichen. Ethik in der IT-Sicherheitsausbildung stehe selten auf dem Lehrplan, im Fokus sei bislang eher das Wissen um Compliancefragen. In der Lehre würde zwar die defensive Anwendung des vermittelten Wissens propagiert, gleichzeitig aber stets auch Angriffskompetenz aufgebaut. Erfolgreiche Ethiktrainings zur Sensibilisierung im anglo-amerikanischen Raum würden weniger theoretisch, sondern anhand von aufgeworfenen Forschungsfällen vorgenommen. Weydner-Volkmann schlug vor, fachübergreifende verpflichtende Seminare zur Bereichsethik zwischen den IT-Wissenschaften und der Technikethik einzuführen – hier könne man mithilfe von Fallstudien sowohl Studierende der IT als auch der praktischen Philosophie ansprechen.  

Volker Gollnick, Lehrstuhlinhaber für Lufttransportsysteme und aktiver Reserveoffizier der Luftwaffe, der an der TU Hamburg Ingenieure in Luftfahrttechnik ausbildet, berichtete über ethische Herausforderungen in der Lehre zu militärischen Luftfahrtsystemen. Die Verknüpfung von Luftfahrzeugen mit verschiedenen Technologien, insbesondere Hochleistungssensorik, IT-Vernetzung und Künstliche Intelligenz u.a. zum Kapern fremder Flugkörper, erforderten eine intensive ethische Auseinandersetzung. In seinen Vorlesungen zum Luftfahrzeugentwurf würden Ethik und Verantwortung im Kontext adressiert.

Alexander Bagattini stellte die Academy for Responsible Research, Teaching and Innovation vor, die am KIT das Bewusstsein für soziale und ethische Implikationen von Forschung schärfen soll. Dort sei es weniger das Ziel, Inhalte und Theorien von Ethik zu vermitteln, sondern vielmehr die Reflexionskompetenz Forschender zu stärken. Die dabei aufgebaute „Ethical Literacy“ solle in der Praxis zum selbstständigen ethischen Urteilen befähigen. Bagattini berichtete über einen durchgeführten Workshop zu Dual-Use und biometrischen Daten, bei dem die Teilnehmenden zwar im Anschluss eine durchaus höhere Sensibilität für ethische Fragen rückgespiegelt, aber in Bezug auf die eigene Forschung eher eine ethische Begleitforschung für wünschenswert erachtet hätten.

In der zweiten Panel-Diskussion wurden u.a. Zivilklauseln an Universitäten thematisiert. Volker Gollnick nahm eine durch die Zivilklauseln verursachte Tabuisierung bestimmter Themen wahr, die jedoch auch für defensive Zwecke hochrelevant seien. Mit ethischen Fragen von Dual Use würden Studierende häufig zum ersten Mal konfrontiert, würden diese aber dankbar reflektieren. Sebastian Weydner-Volkmann glaubte zu erkennen, dass sich in der IT-Sicherheit eine Bereichsethik herauskristallisiere. Mit gewissen IT-Sicherheitsproblemen und daraus folgenden Missbrauchsszenarien müsse man lernen zu leben und deshalb eine Professionalisierung der Ethik vorantreiben. Verschiedene Diskutanten berichteten über Schwierigkeiten, das Thema Ethik in der Lehre zu institutionalisieren, wenn sie nicht obligatorisch aufgelegt werden. Teilweise müsse kleinteilig mit einzelnen Instituten gesprochen und Angebote unterbreitet werden. Zudem sei der Aufbau ethischer Bewertungskompetenz ein langer Prozess, der auf sukzessive steigendem Wissen aufbauen müsse. Aus dem Publikum kam der Vorschlag, zunächst Lehrende zu schulen, um dann die Themen in eine Bereichsethik zu tragen.

Panel III: Good Practices (Teil III)

Siegfried Preiser erklärte, wie die Psychologische Hochschule Berlin als eine der ersten Hochschulen in Deutschland eine KEF eingerichtet habe. Er zeigte am Beispiel der wissenschaftlichen Untersuchung von Rekrutierungsstrategien für Extremisten und von Social-Media-Äußerungen von Attentätern, dass auch psychologische Forschung hochsicherheitsrelevante Ergebnisse liefern könne. Die Studierenden der Psychologischen Hochschule müssten sich bereits in der Studieneingangsphase mit ethischen Fragestellungen beschäftigen – allerdings im Kontext der allgemeinen Bereichsethik, bspw. bei Befragungen. Im Masterstudium müssten die Studenten im Rahmen von Gruppenarbeit als simulierte Ethikkommission Ethikgutachten erstellen. Dabei würden Studierende lernen, sich forschungsethischen Fragestellungen problemorientiert zu nähern.

Jens Hartmann von der Hochschule Anhalt stellte in seinem Vortrag die Herausforderungen für die Verantwortung der neuen Ingenieurgeneration vor. Ethik sei ein notwendiger Begleiter in einer Technikgesellschaft. Seit 2016 werde ein Modul Ingenieurethik angeboten, das aus vier Themenkomplexen bestehe: einer Einführungsdiskussion, einem Hauptteil zu Ethik in den Lebens- und Ingenieurwissenschaften, einem Teil zu Klimawandel und Nachhaltigkeit sowie einer abschließenden Posterpräsentation. Letztere sollten die Studierenden eigenverantwortlich gestalten, in dem sie sich vertiefend mit den Seminarinhalten auseinandersetzen und somit zu eigenen Lösungsansätzen oder Fragestellungen kommen. Als Ausblick warf Hartmann Fragen zu einer ethischen Ausbildung im Chemiestudium und diesbezügliche mögliche Themenschwerpunkte auf.

Zum Abschluss stellten Volker Anders und Cyra Ossenkopp vom BAFA das Handbuch des BAFA für die Compliance der Exportkontrolle im akademischen Bereich vor und erläuterten, welche Schritte und Fragen hinsichtlich der Exportkontrolle in der Wissenschaft eingehalten werden müssen. Dieses Wissen müsse auch Nachwuchswissenschaftlern frühzeitig vermittelt werden. Dazu würden sich die zahlreichen Fallbeispiele aus dem Handbuch eignen, von denen Ossenkopp zwei vorstellte.

In der dritten Diskussionsrunde erläuterte Preiser, dass die Forschungen zur Früherkennung extremistischer Attentäter durch Social-Media-Analysen an der Psychologischen Hochschule Berlin auch mit Sicherheitsbehörden abgesprochen und geteilt wurden. Ebenso habe die KEF die Frage der Nichtöffentlichmachung der Ergebnisse kritisch diskutiert. Hartmann machte deutlich, dass es zwar wünschenswert sei, Ethik durchgängig in der praxisorientierten Lehre zu vermitteln, dafür aber die Modulkataloge eigentlich schon zu straff angelegt seien. Preiser erklärte, wie der Erfolg von Studierenden bei der Bewertung und Beurteilung moralischer Dilemmata gemessen werden könne. Anders und Ossenkopp versuchten bei den Antworten auf zahlreiche Fragen aus dem Publikum deutlich zu machen, dass die Genehmigungsprozesse des BAFA eher eine rechtliche Absicherung für Forschende darstellten und kritischen Fälle in der Regel selten seien und von Forschenden bereits hinsichtlich ihrer Brisanz frühzeitig erkannt würden.

Wrap-up

Heike Schmoll, die Moderatorin der Tagung, fasste die Ergebnisse des Tages zusammen. Ein klarer Konsens der Tagung sei gewesen, dass die Ethik in der Lehre obligatorisch und über das gesamte Studium behandelt werden müsse. Thematische Zuspitzungen des eigenen Faches könnten die Bereitschaft der Studierenden fördern, sich damit zu beschäftigen. Zur Frage der konkreten Lehrformen bestünde noch Nachholbedarf und dies sollte vor allem durch Fortbildungen Lehrender pluralisiert werden. Best Practices-Beispiele sollten niedrigschwellig öffentlich zugänglich sein. Die Entwicklungen von Bereichsethiken müssten weiter voranschreiten, um ein nachhaltiges Bewusstsein zu schaffen, das auch in das zukünftige Berufsleben Studierender hineinwirken könne.